Auf Stempeldaten achten, Leute!

   Bund, Mi. 159 gestempelt Fft/M


Selbe Marke, die Datumszeile vergrößert: Stempeljahr 1955! 

Normalerweise kein Thema für Philatelie-Digital: das Sammeln loser gestempelter Marken. Aber es steht dem Sammeln von bedarfsgelaufener Briefpost inklusive Ganzsachen am nächsten. Hinzu kommt, daß der Schreiber in diesen Bund-Berlin-DDR-Saarland-Marken, in Sonderheit den nach 1945 erschienenen Sonderpostwertzeichen, moderne Klassiker sieht. Als solche haben sie eine bessere philatelistische Behandlung verdient als das, was landauf landab, vor allem aber auf den Plattformen, mit ihnen im Verkauf geschieht: Daß größtenteils der mieseste Dreck angeboten wird und leider von Billig-Billig-Jägern auch noch gekauft wird. Entsprechend sehen seit vielen Jahren die Gestempelt-Komplett-Sammlungen von Bund, Berlin und DDR aus. Ein Mix aus Stempelakkuratesse bei Billigwerten und Schrott in jeder Hinsicht bei den Katalogspitzen. Doch ist eine gediegene „Gestempeltkultur“  ja auch dem größten Teil des Handels seit Jahrzehnten völlig wurscht, sie wollen nur noch Ware umschlagen. Daß sie auch damit ihr eigenes Grab schaufeln – egal!

Was die Katalogspitzen betrifft, sind selbige selbstredend BPP-ungeprüft – dabei geben die Kataloge mit einer schwarzen Raute einen Gefahrenhinweis! Und selbst wenn man über ein solides Eigenwissen und vor allem ein starkes Maß an Skepsis verfügt, wenn einem also Stücke überaus preiswert ins Angebotsbild donnern, muß auch das der Liebhaber aushalten: Im Datum unlesbare Stempelabschläge, verschmierte Stempel, Zähnungsschrott, der dreist mit „Luxuszähnung“ weggejubelt wird, tückisch besonders gut verlaufende Zähnungsreihen, in denen dann aber ein ganzer Zahn fehlt oder zur Hälfte. Weg damit! Niemand sammelt das, niemand kauft das dereinst an! Und auch niemand verschenkt das an junge Sammler auf sog. Charity-Förder-Veranstaltungen (pervers!).  Selbst klare Beschädigungen wie besagte Einrisse oder Farbabschürfungen oder Knickfalten, die im Onlinebild tatsächlich zu erkennen sind, werden vom Anbieter nicht erwähnt.  Er glaubt sich mit „wie besehen“ oder schelmischer Falschheit à la „Bilder sagen mehr als tausend Worte“ aus der Affäre ziehen zu können. Die Affäre beginnt damit, daß er diesen Dreck überhaupt glaubt anbieten zu können! Würden Anstand (aber bei Polit-Versammlungen der „Anständigen in diesem Lande“ ist man ganz sicher dabei!) und Redlichkeit noch praktizierte Werte „dieser unserer Gesellschaft“ sein, würden Ebay und Delcampe zur Hälfte leergefegt sein von diesem philatelistischen Schund!

Daß sich diese sammlerischen Brechmittel bei ausländischen Anbietern und dabei nicht nur im Angebot von Privatsammlern zeigen, wundert kaum. Daß auch einschlägig seit jeher bekannte deutsche Händler, Privatsammler sowieso, sich nicht entblöden, diese Markenklasse der Anfangsfünfziger mit phantastischen Zähnungsverläufen (geschnittenes Erscheinungsbild der Zähnungsspitzen = Nachzähnung) anzubieten, macht aber auch nicht weniger sprachlos – weil sattsam bekannt!

Und dann gibt es die tückischen Angebote. „Auf Bedarfspost“ kommen sie ebenso vor, doch gewährt selbige mit der  Eigenheit einer Postsendung ein  leichteres Erkennen, weil der Brief, die Karte, die Drucksache, als postalischer Leistungsnachweis insgesamt vom Sammler vor einem Kauf in Augenschein genommen und postgeschichtlich verstanden werden muß! Doch auch schon rein optisch betrachtet ist das Erscheinungsbild eines Stempelabdruckes auf Brief grundsätzlich mehr evident. Tückischer sind dagegen lose Marken, vor allen Dingen, wenn sie ein farbdunkles Bild zeigen wie es schon vor  1945, erst recht aber nach 1945 den meisten Höchstwerten unter den deutschen Marken aller Provenienz eigen ist. Befolgt wurde bekanntlich für viele Jahrzehnte eine alte Weltpostvereinssregel, nach der Blau der Erkennungswert für Auslandsbrieffreimachung ist (Bund/Berlin: 30, 40, 50, 60, 70, 90, 120, 140 Pf).

Womit endlich die Rede auf die oben abgebildete Bund-Wohlfahrtsmarke von 1952 kommen kann. Ihr Erscheinungsbild erlaubt nach dem ersten und zweiten Hinsehen das Güteurteil „Pracht“ oder schlichter, „einwandfrei“. Zähnung vollständig, nicht mal unruhig, Stempelung sauber, keine sonstigen offensichtlichen Beschädigungen. Und doch hat sie einen üblen Haken, den der kanadische Anbieter nicht erkannte oder nicht erkennen noch mitteilen wollte. Deutlich ist das Stempeljahr „55“ zu erkennen. Das sollte schon einen Sammler mit nur wenig „Bund-Wissen“ aufschrecken. Denn natürlich ist die Marke außerhalb ihrer vom Bundespostminister festgelegten Gültigkeitsphase genutzt und gestempelt worden. Was die Gründe dafür im einzelnen auch waren, die Marke ist NICHT sammelfähig. Sie gehört in den Papierkorb!

Alle bis 31.12.1968 erschienenen Bund-/Berlin-Postwertzeichen (mit den bekannten wenigen Ausnahmen, s. Markenkataloge!) waren nur begrenzt postgültig. In den Anfangsfünfzigern waren die Gebrauchszeiten teils sehr gering, für die betreffenden Wohlfahrtsmarken von 1952 (Mi. 156/59)  galt mit 15 Monaten allerdings schon eine damals vergleichsweise lange Gebrauchszeit (1.10.52-31.12.53). Der Grund: Der Verkauf der Zuschlagsmarken stockte, die Marken waren unbeliebt, sogar auch beim Sammler! Doch das hat nichts damit zu tun, daß Marken dieses Zuschlagssatzes 1955 nicht mehr als Portomittel verwendet werden durften. Die Marke wie sie hier zu sehen ist, hätte damals gar nicht zur Entwertung  kommen dürfen. Wie auch immer, HEUTE hat diese Marke in einer ordentlichen Sammlung nichts zu suchen! Auch die verlangten, vergleichsweise „sparsamen“ 25 kanadischen Dollar sind 25 zu viel! Ab in den Müll! (Man wünschte sich manchmal die große „Briefmarkenverbrennung“!).

                                                                                                             Philatelie-Digital 4/2020