Berlin „Gedächtniskirche“ (1953), Mi. 106-09, jede Marke mit zentrischem Stempelabschlag. Eine Augenweide. Oder doch falsche Bräute? Eine Ausgabe, die aufs höchste fälschungsgefährdet ist!
Stempelbelege zu Sonderanlässen im Bundesgebiet. Berlin-Marken waren beliebt!
Wer „Gestempelt“ und gleichzeitig auch Bedarfspost sammelt, weiß ganz besonders um die Gefahren bei Marken der 50er Jahre. Berlin-Sondermarken ab „Glocke“ 1951 gerieten wie seinerzeit auch die Saarlandmarken immer wieder in die Spekulation, schon am Verkaufstag oder bald danach. Den Vogel schoß der vierwertige Zuschlagssatz „Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ mit Erscheinen im Jahr 1953 ab. Insbesondere der unscheinbare 10+5-Pf-Wert wurde bogenweise gehortet und landete außerdem in Anlagepaketen.
Der Briefpostsammler kennt die Folge des damaligen Hortens postfrischer Marken: In den Alltagsgebrauch ging wenig. Wenn, dann nutzte man wie so häufig in jenen Jahren Marken oder gleich ganze Sätze als Markenschmuck für Sonderbelege zu Sonderanlässen. Die waren bei Sammlern damals beliebt – seit langem schon sind sie es nicht mehr. Lose gestempeltes Material, noch dazu aus Berlin, ist unabhängig davon, daß auch für Berlin-Klassiker die Preise nachgeben, in sammelfähiger Form selten. Sammelfähig bedeutet vor allem: BPP-geprüft zu sein. Insbesondere „Berlin“-gestempelte Stücke sind selten an sich. Denn was passierte, nachdem der Markt erkannte, daß es an zurückfließenden postfrischen Marken genug gibt, gestempelte aber nicht? Stempel, in Sonderheit Berliner Sonder- und Tagesstempelwerkzeuge wurden (später) gestohlen und mißbräuchlich verwendet (Rückdatierungen) oder es tauchten Abschläge mit teilverfälschten oder ganz gefälschten Abschlägen auf. Phantasieabschläge auch, eben die ganze Palette, auf die ein mieses Abzockermilieu so kommen kann, wenn man das Angebot für eine zahlungsbereite Nachfrage „sicherstellen“ will.
Die weitere Geschichte ist die weit häufigste aller fälschungsgefährdeten gebrauchten Marken: Marken/Sätze dieser und anderer Art werden ungeprüft angeboten (kein Prüfzeichen, kein Kurzattest)! Exakt so verhält es sich bei dem oben abgebildeten, so scheinbar wunderschön gestempelten Satz eines britischen Anbieters. Möglich, daß der von der Fälschungsgefahr nichts weiß, aber vielleicht weiß er auch davon. Dann ginge es ihm so wie den meisten der Gestempelanbieter in Deutschland. Sie bieten kackfrech „Luxus“ an oder „sauber gebrauchte“ Stücke. Es ist die Lyrik der Verschleierung oder des Dummverkaufens. Hat man Betrugsabsicht, hofft man darauf, daß der Sammler bei einem Schnäppchenpreis schon nicht prüfen lassen wird oder er den ganzen Umstand von Rückgabe und Umtausch etc. nicht wagen wird.
Philatelie-Digital legte Mitte April diesen derzeit bei Ebay angebotenen Satz als Abbildung per Mail dem zuständigen BPP-Prüfer H.-D. Schlegel in Berlin vor. Antwort auf die bewußt allgemein gehaltene Frage „ist dieser Stempel „B-Charlottenburg 2“ mit Unterscheidungsbuchstabe „v“ fälschungsgefährdet und ist dieser damit gestempelte Satz 106-09 möglicherweise als Fälschungsware (alt-)bekannt?“ lautete kurz: „ja“. – Ziehe jeder, der mag und dem sein Geld lieb ist, seine Schlüsse.
Ach ja, noch zur 10er: Auch in einfacher bzw. üblicher Einzelverwendung auf Postkarte-Inland ist sie schwieriger als der Höchstwert 30+15 Pf (Auslandsbriefporto). Wenn die EF vorkommt, dann meist als (weniger beliebte) Bund-Verwendung und dann nicht selten auch noch in schlechter Erhaltung (Zähnungsgüte, Stempelabschlag). Wenn man schon von häufiger sprechen möchte bei diesen vier Marken, dann trifft das für den Drucksachenwert (4+1 Pf) und den Briefwert (20+10 Pf) zu.
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Der Anbieter zeigt die Rückseite mit Prüfstempel. Löblich. Offenkundig fiel ihm die eigenartige Buchstabenführung des Prüfstempels nicht auf. (Abb.: joergang/GB-Ebay)
Damit zum zweiten Nachkriegs-Fälschungsklassiker, der legendären 42 Pf aus dem 1. Kontrollratsausgaben-Satz (Mi. 911/37). Der Bedarfspostfreund schätzt diese Marke (Mi. 930) auf Brief außerordentlich, die wenigsten haben den Wert in seiner postalisch zugedachten Einzelverwendung (EF) auf Inlands-Einschreiben. Es kostete bis 28. Februar 1946 besagte 42 Pf, der Brief 12, der Sonderdienst Einschreiben 30 Pf. Nur ein paar Wochen war diese EF möglich. Ihr Marktwert ist wie der anderer „Februar“-Verwendungen dieser Serie zwar gefallen, aber das ändert nichts an der Seltenheit des Vorkommens. Es gibt viel Erhaltungsschrott, aber noch mehr Fälschungen (des Stempelabschlages, oder gleich des ganzen Briefes).
Vor nun über dreißig Jahren, als sich das Gestempelt-Sammel von Marken aus der unmittelbaren Nachkriegszeit auf breiter Ebene durchsetzte, wußte der erfahrene und ältere Sammler natürlich immer schon, was es gerade mit dieser Dauermarke 42 Pf Ziffern auf sich hat: Daß sie in den Preislisten der meisten Versender – und von ihnen gab es schon kurz nach dem Krieg unglaublich viele – regelmäßig fehlte. Die Versender boten auch da schon meist nur postfrisch an, was zum Beispiel auch für AM Post (Mi.1-35) und die frz. Zone-Marken fatale Folgen haben sollte. Selbst postfrische Sätze wurden unvollständig, also minus die eine, die 42er, gelistet. Den Preis von heute 40 Euro für lose gestempelte Erhaltung erzielte die Marke nicht mehr, aber 8,50 britische Pfund für diesen offensichtlichen Fälschungsschrott (Prüfzeichen) und Sammelschrott (nicht lesbares Stempeljahr, Frage der Echtheit des Stempelabschlages) sind exakt um diesen Betrag zu viel! Sorgsame Sammler werden die lose Marke gestempelt nur BPP-geprüft erwerben! Nicht anders beim Brief. Wer so was heutzutage ungeprüft anbietet, kann alle besten Ausreden haben – es bleiben Ausreden, die ein seriöser Anbieter von vornherein vermeidet! Wer kauft lose oder auf Brief ungeprüft eine 8 oder 80 Pf AM Post, eine 60 Pf sog. „Helle“ Bandaufdruck/Arbeiterserie oder die Ziffern-Währungsüberdruckmarken von 1948? Nur, der dumm ist oder der sich in die Tasche lügen will.
Prüfer Schlegel antwortete bei Mail-Vorlage auch dieser Abbildungen natürlich mit Vorbehalt, auch wenn er den Daumen senkte. Wenn nicht er, wer weiß dann am besten über sein Prüfzeichen Bescheid? Philatelie-Digital 4/2020