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Ukraines gezähnte Propaganda vom 12. April 2022 – Eine Marke für die Ewigkeit / Aktuelle Ergänzungen

   Marke „F“ für den nationalen Versand

Philatelie Digital berichtet sonst nicht (mehr) über Neuheiten und deren Ausgabedetails. Eine Ausnahme macht nun sogar ein ausländisches Wertzeichen. Es ist das am 12. April an die Schalter gelangte Markenmotiv mit dem Infanteristen Roman Hrybow und dem inzwischen gefechtsunfähigen bzw. gesunkenen russischen Kriegsschiff „Moskva“. Nach ukrainischen Angaben soll es von Raketen getroffen und in Brand gesetzt worden sein. Der Infanterist mit Standort Schlangeninsel (rumänische Küste)  gelangte in die internationalen Medien durch seinen Stinkefinger und den über Funk an die russische Seite übermittelten Spruch „Russisches Kriegsschiff, verpiß dich“, nachdem er und seine Kameraden zuvor aufgefordert worden waren sich zu ergeben. Er wurde gefangengenommen, kam im Austausch inzwischen aber wieder frei.

   W = internationaler Versand

Dieser Spruch soll sich nach einer dpa-Meldung vom 17. April auf der Marke befinden. Der Autor ist weder der östlichen Sprachen mächtig noch ist er blind: Wenngleich die Abbildungen eine leider nur geringe Auflösung zeigen, also mit Vergrößerungen sich nichts erreichen läßt, ist von einer solchen Botschaft im Markenbild nichts zu entdecken.

Die Kleinbogen (W-Auflage: 0,5 Mio. Stück, F = ungenannt) der Ukrposhta erschienen am selben Tag und sollen inzwischen vergriffen sein. Beide Marken decken die Gebühr für einen Brief bis 50g ab. Briefpost mit der W-Marke sollte ggf. hierzulande eintreffen können, denn ein Hinweis auf  Unterbrechung des Postverkehrs (wechselseitig) fand sich auf der Website der Deutschen Post bislang nicht (Stand 18.4.).

Die Neuheit ist natürlich eine Propagandamarke und damit übrigens etwas völlig anderes als eine Propagandafälschung. Selbige zeigten entweder motivlich markant eine verzerrte Wiedergabe einer ikonischen Darstellung oder eine propagandistische Textabänderung oder -umdeutung (Hetzparole) des replizierten Originals. Mit ihm sollte der Gegner bzw. das  Herkunftsland der jetzt verfälschten Marken weltanschaulich oder schlicht auf moralischem Gebiet  zersetzt werden. Die ukrainische Neuheit vom April wird aber nicht heimlich an die (eigenen)  und noch funktionierenden Postämter geschleust noch aus der Luft abgeworfen noch sonst wie auf verdeckte Weise von einem Gegner auf propagandistischer Briefpost postalisch ins Land geschleust (In diesem Fall fehlen offensive  Propagandamerkmale des gegnerischen Postwertzeichens, sie sind über dann meist über  technische Druck- oder Zähnungsdetails für die forschende Philatelie erkennbar).

Die Neuheit aus Kiew steht in einer langen Reihe von Propaganda-Ausgaben weltweit. Sie gibt es als kampfideologischen Mehrwert (krasses Beispiel aus dem „Kalten Krieg“: die „KSZE-Friedens- und Menschenrechte-Marken der kommunistischen Regimes), und vor allem, und damit historisch schon viel länger, immer dort, wo  tatsächliche oder vermeintliche Gebietsansprüche postalisch signalisiert werden sollen. Berühmter früher Fall ist eine 1900 erschienene Marke der Dominikanischen Republik, auf der die Grenze zum insularen Nachbarland Haiti verschoben worden war. Fast wäre es deshalb zum Krieg zwischen beiden Ländern gekommen.

Es gibt reichlich Literatur zu Thema „Propaganda“; da es sich um ein weltweites Phänomen handelt, ist die Literatur meist englischsprachig. Mit führend auf diesem Gebiet sicherlich der Holländer Jan Heijs, der sich zuletzt an Afrikas Konfliktregionen heranwagte (Africa – Disputed political propaganda on postage Stamms; 2020) wie er auch über die brisanten  Begleiterscheinungen des britisch-argentinischen Falkland-Konflikts schrieb (https://www.defactoborders.org/places/falkland-islands/the-falklands-island-stamp-battle).

Weitere (englischsprachige) Quellen, die für den forschenden Sammler ein Suchen lohnend machen: https://networks.h-net.org/node/193636/pages/3504043/stamps-messages-bibliography sowie: Stabley D Brunn, Stamps, Nationalism and Political Transition. Auch ein deutscher Autor hat sich zum Thema „Propaganda“ schon beizeiten in „Kalten Krieg“ geäußert: Hans-Jürgen Kuppel, Politik auf Briefmarken – 130 Jahre Propaganda auf Postwertzeichen (D´dorf. 1971).

Die jetzt von Ukrposhta vorgelegte Neuheit ist bei aller aktuellen Brisanz und Aussagekraft als Teil eines schon seit 2014  stattfindenden „Postkrieges“ zwischen der Ukraine und Rußland zu interpretieren  (s. hierzu den Beitrag von Jan Sperhake vom 7.Mai 2014:  https://www.heise.de/tp/features/Beginn-eines-neuen-Postkriegs-3365191.html). Sperhake macht in seinem Beitrag auf die 2014 von der russischen Post ausgegebenen Marken innerhalb der Serie „Regionen“ aufmerksam. Sie zeigen zwei Motive der (gewaltsam annektierten) Krim. Wie Beiträge im Netz verdeutlichen, ist schon seit 2014 davon abzuraten, Briefpost zur Krim mit „Ukraine“ und den in Frage kommenden ukrainischen Postleitzahlen zu kennzeichnen. Orte wie Simferopol haben schon russische Postleitzahlen erhalten. Sendungen mit „ukrainischen Merkmalen“ werden von der Ukrposhta als unzustellbar behandelt und gehen an den Absender zurück, ergänzt um einen Klebezettel mit Verweis „Retour gemäß UPU IB Circular No 71„.

Jan Heijs (https://www.postalwar.info/) geht der Stoff für seinen Postkriegs-/Postzensur-Katalog, ein seit Jahren ergänztes und international anerkanntes Standardwerk (ältere, aber absolut nützliche Auflagen antiquarisch, etwa über www. philabooks.de), also nicht aus.

Propaganda-Motivmarken kann man lose sammeln, aber überaus deutlich wird gerade bei ihrer Materie, wie aussagekräftig erst postalisch bearbeitete bzw. (teil-)beförderte Briefpost ist. Um das aber noch einmal zu verdeutlichen: Die neuen Marken aus Kiew auf Briefpost in nicht-russische Zielländer sind bei aller hochaktuellen, dringlichen und natürlich hochmodernen Zeichensprache nur ein „bloßes“ Motivzeichen unter vielen.  „Postkrieg“ lösen sie – mit Sicherheit – erst auf Briefpost mit Ziel Rußland aus! Interessant wäre allerdings auch, wie solche Sendungen in der VR China oder in Indien oder in Serbien postalisch bearbeitet würden.

Aktualisierung (PrMitt. von ukrinform.de vom 18.4.2022):
„Aufgrund der hohen Nachfrage hat die ukrainische Post Ukrposhta den Verkauf ihrer Sonderbriefmarke mit dem russischen Kriegsschiff `Moskva´ begrenzt. Wie das Unternehmen am Montag mitteilte, darf jetzt eine Person maximal fünf Blätter mit je sechs Briefmarken von beiden Nominalwerten kaufen. Per Internet darf man maximal drei Blätter pro eine Bestellung kaufen. Sehr große Internetbestellungen (es gab eine Bestellung von 38.000 Briefmarken) werden laut Ukrposhta storniert. Die Kunden werden darüber informiert. Der Nominalwert bleibt unverändert, 23 Hrywnja für die Ukraine und 45 Hrywnja zur Versendung ins Ausland.“

Nachtrag vom 20.5.2022
Weitere Einzelheiten zu den Marken selbst:
F entspricht 23 Hrywna (UAH), das sind 0,73 €. Die Nominale ist das Porto für ein Inlandseinschreiben bis 50 g. Auflage: 3 Mio. Stück, wobei unklar ist, ob Ukrposhta damit die Zahl der Marken oder des Kleinbogens mit drei Marken (und ebenso vielen Zierfeldern) meint.  Nennwert des KB: 69 Hrywna (2,21 €). Abgabepreis des FDC mit Sonderstempelung: 38 Hrywna (1,22 €).
M bezahlt das Porto für einen uneiligen Brief bis 50 g ins Ausland. Der Buchstabenwert ist neu und wird in der Postankündigung nicht beziffert. Statt dessen lautet der Postabgabepreis 1,50 US$ (KB 4,50 $). 1,50 Dollar wären 44 Hrywna (1,40 €). Postpreis des FDC: 63 Hrywna (2 €). Eine Druckmenge für diesen KB wurde nicht genannt.
(https://www.ukrposhta.ua/en/news/57652-ukrposhta-puts-into-circulation-postage-stamps-russian-warship-everything-death-to-enemies-with-a-coupon-and-russian-warship-everything-glory-to-the-nation)
                                                                                                                          Philatelie-Digital 4-2022